Frage: Wie lässt sich die rechtsextreme Szene im
Internet abbilden und beobachten?
Schomberg: Da auf den einschlägigen Seiten versucht wird, Aufmärsche zu organisieren
und Termine für Demonstrationen zu publizieren, ist das Netz ein guter Index für rechte
Aktivität. Die Internationalität des Mediums lässt Rückschlüsse auf Querverbindungen
zwischen scheinbar autonom operierenden Zirkeln und Parteien zu. Durch die Anonymität im
Netz fühlen sich die Organisatoren sicher, sie nutzen das Netz zu Propagandazwecken und
zur Gewinnung neuer Anhänger. Diese Anonymität nutzen auch Sympathisanten, um sich
Materialien unerkannt herunterzuladen.
Frage: Hat sich die Szene in letzter Zeit verändert?
Schomberg: Sie ist - was die Worte angeht - radikaler geworden. Ging es 1992 noch um
"national befreite Zonen", so wird heute vor offenen Mordaufrufen im Netz nicht
mehr zurückgeschreckt, und auch die Anti-Antifa ist ein wichtiger Faktor der
Politisierung und des Ideentransports geworden. Das heißt, dass Adressen, Bilder und
ganze Dossiers von politischen Gegnern auf rechtsextremen Internetauftritten eingestellt
werden. Unterschätzt wird meines Erachtens der Schulterschluss zwischen Neonazis und
Fußballhooligans, obwohl Unterwanderungs- und Instrumentalisierungsversuche dieser
eigentlich unpolitischen Szene seit Jahren bekannt sind. Außerdem gibt es die Forderung,
in den bewaffneten Untergrund zu gehen.
Frage: Gibt es Aufrufe zu Gewalt gegen jüdische Einrichtungen oder gesellschaftliche
Gruppen?
Schomberg: Ja. Gegen kritische Linke, Journalisten, Gewerkschafter, Schwule, gegen
türkische Jugendbanden und gegen alles und jeden, das oder der der rechtsextremen,
neonazistischen Gesinnung widerspricht. Was die aktuellen Anschläge auf jüdische
Einrichtungen angeht, so handelt es sich - wenn ein rechtsextremer Hintergrund gegeben ist
- zumeist um Einzeltäter. Zwar ist allen neonazistischen Publikation im Internet ein
starker und gewaltbereiter Antisemitismus inne, jedoch handelt es sich nach meinem
Dafürhalten noch um Verbalradikalismus.
Frage: Trotzdem sind Todeslisten und Mordaufrufe im Netz doch höchst bedenklich.
Führt die Radikalisierung des Denkens nicht zur Radikalisierung der Taten?
Schomberg: Die Gefahr besteht. Zwar wird es nach einer Hochrechnung des Bundesamtes
für Verfassungsschutz in diesem Jahr ebenso viele rechtsextreme Gewalttaten geben wie
1999, doch dieser prognostizierte Gleichstand zeigt nur, dass die aktuelle Diskussion
einerseits sachlicher geführt werden sollte. Andererseits macht die Qualität der Gewalt
und Gewaltbereitschaft nachdenklich.
Frage: Wie stehen Sie zu einem Verbot der NPD?
Schomberg: Allein die Debatte ist schon wenig hilfreich. Denn im Verbotsfall werden
sich die Nationalen anders organisieren und sind möglicherweise schwerer zu beobachten.
Und falls der Verbotsantrag scheitert, sehen sich die NPD-Anhänger von oberster Stelle
legitimiert, ihren rassistischen und antisemitischen Wahn weiter zu verbreiten. Meines
Erachtens wird zu oft vergessen, dass fast alle Deutschen rechte Gewalt zutiefst
verabscheuen.
Mit dem Politikwissenschaftler Heiko Schomberg sprach Torsten Berninghaus.