Experte: Rechtsextremisten im Internet immer radikaler
Hagen. (tob) Rechtsextremisten gebärden sich im Internet immer radikaler. Die Szene schrecke vor Mordaufrufen im Netz nicht mehr zurück, sagte der Marburger Politologe Heiko Schomberg im Gespräch mit unserer Zeitung. Schomberg beschäftigt sich seit Jahren mit der rechten Präsenz im Internet. "Adressen, Bilder, ganze Dossiers von politischen Gegnern" würden ins Netz gestellt. Fremdenfeindliches Gedankengut werde zudem zunehmend per Handy verbreitet.

 

Rechtsradikale im Internet rufen auch zu Morden auf Netz als effektives Kommunikationsmittel
Hagen. Rechte Aktivisten haben sich das Internet als effektives Kommunikationsmittel zu eigen gemacht. Der Marburger Politikwissenschaftler Heiko Schomberg (29) war einer der ersten, die das Phänomen wissenschaftlich untersuchten.

Frage: Wie lässt sich die rechtsextreme Szene im Internet abbilden und beobachten?

Schomberg: Da auf den einschlägigen Seiten versucht wird, Aufmärsche zu organisieren und Termine für Demonstrationen zu publizieren, ist das Netz ein guter Index für rechte Aktivität. Die Internationalität des Mediums lässt Rückschlüsse auf Querverbindungen zwischen scheinbar autonom operierenden Zirkeln und Parteien zu. Durch die Anonymität im Netz fühlen sich die Organisatoren sicher, sie nutzen das Netz zu Propagandazwecken und zur Gewinnung neuer Anhänger. Diese Anonymität nutzen auch Sympathisanten, um sich Materialien unerkannt herunterzuladen.

Frage: Hat sich die Szene in letzter Zeit verändert?

Schomberg: Sie ist - was die Worte angeht - radikaler geworden. Ging es 1992 noch um "national befreite Zonen", so wird heute vor offenen Mordaufrufen im Netz nicht mehr zurückgeschreckt, und auch die Anti-Antifa ist ein wichtiger Faktor der Politisierung und des Ideentransports geworden. Das heißt, dass Adressen, Bilder und ganze Dossiers von politischen Gegnern auf rechtsextremen Internetauftritten eingestellt werden. Unterschätzt wird meines Erachtens der Schulterschluss zwischen Neonazis und Fußballhooligans, obwohl Unterwanderungs- und Instrumentalisierungsversuche dieser eigentlich unpolitischen Szene seit Jahren bekannt sind. Außerdem gibt es die Forderung, in den bewaffneten Untergrund zu gehen.

Frage: Gibt es Aufrufe zu Gewalt gegen jüdische Einrichtungen oder gesellschaftliche Gruppen?

Schomberg: Ja. Gegen kritische Linke, Journalisten, Gewerkschafter, Schwule, gegen türkische Jugendbanden und gegen alles und jeden, das oder der der rechtsextremen, neonazistischen Gesinnung widerspricht. Was die aktuellen Anschläge auf jüdische Einrichtungen angeht, so handelt es sich - wenn ein rechtsextremer Hintergrund gegeben ist - zumeist um Einzeltäter. Zwar ist allen neonazistischen Publikation im Internet ein starker und gewaltbereiter Antisemitismus inne, jedoch handelt es sich nach meinem Dafürhalten noch um Verbalradikalismus.

Frage: Trotzdem sind Todeslisten und Mordaufrufe im Netz doch höchst bedenklich. Führt die Radikalisierung des Denkens nicht zur Radikalisierung der Taten?

Schomberg: Die Gefahr besteht. Zwar wird es nach einer Hochrechnung des Bundesamtes für Verfassungsschutz in diesem Jahr ebenso viele rechtsextreme Gewalttaten geben wie 1999, doch dieser prognostizierte Gleichstand zeigt nur, dass die aktuelle Diskussion einerseits sachlicher geführt werden sollte. Andererseits macht die Qualität der Gewalt und Gewaltbereitschaft nachdenklich.

Frage: Wie stehen Sie zu einem Verbot der NPD?

Schomberg: Allein die Debatte ist schon wenig hilfreich. Denn im Verbotsfall werden sich die Nationalen anders organisieren und sind möglicherweise schwerer zu beobachten. Und falls der Verbotsantrag scheitert, sehen sich die NPD-Anhänger von oberster Stelle legitimiert, ihren rassistischen und antisemitischen Wahn weiter zu verbreiten. Meines Erachtens wird zu oft vergessen, dass fast alle Deutschen rechte Gewalt zutiefst verabscheuen.

Mit dem Politikwissenschaftler Heiko Schomberg sprach Torsten Berninghaus.

[Originalquelle]

zurück